Die heutige Situation der Evangelisch-lutherischen Kirche in Ungarn – mit Blick auf Kirchen der zentraleuropäischen Staaten von Béla Harmati

Die heutige Situation der Evangelisch-lutherischen Kirche in Ungarn – mit Blick auf Kirchen der zentraleuropäischen Staaten von Béla Harmati

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BENSHEIMER HEFTE Nr. 107: DIE KIRCHEN DER GEGENWART I. Hg. Von Michael Plathow, Vandenhoeck & Ruprecht in Göttingen, 2007. S.125-145.

 

„Die wichtigste Aufgabe der Kirchen in Europa ist es, gemeinsam das Evangelium durch Wort und Tat für das Heil aller Menschen zu verkündigen. ... Im Geiste des Evangeliums müssen wir gemeinsam die Geschichte der christlichen Kirchen aufarbeiten, die durch viele gute Erfahrungen, aber auch durch Spaltungen, Verfeindungen und sogar durch kriegerische Auseinandersetzungen geprägt ist.“ [1]

So haben die Kirchen von Europa  -  die Konferenz Europäischer Kirchen und der Rat der Europäischen Bischofskonferenzen, Protestanten, Orthodoxe und die Römisch-katholische Kirche die Aufgabe für das 21. Jahrhundert in der Charta Oecumenica zusammengefasst. In den heutigen Auseinandersetzungen um die Frage, welche Rolle die einzelne Kirche oder die Kirchen als  ökumenische  Einheit und als gesellschaftliche Größe oder Minderheit gespielt haben, sei versucht, die Wechselbeziehung zwischen Christentum und Gesellschaft, Kirche und Staat in Ungarn mit Blick auf Kirchen von Zentraleuropa bei der Entwicklung des Ökumenismus nach der politischen Wende von 1989/90 aufzuzeigen. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit soll diese  Zusammenfassung auf Problemkreise hinweisen, die aus der Geschichte der Kirchen in Europa nach den zwei Weltkriegen erwachsen sind.

1. In Schatten der Weltkriege  -  Zerrissenheit und Trennung

Die mitteleuropäische Länder und auch die Kirchen waren zusammen mit den anderen Gebieten Europas  vom Zweiten Weltkrieg zutiefst betroffen. Es gab maßloses Elend, Verwüstung, ethnische Säuberungen und geistige Lethargie  (Holocaust, die Kollektivschuld-Anklagen, „malenkij robot“, die Benesch-Dekrete in der Tschechoslowakei,  usw.). Um die Lage besser zu verstehen, sollten wir uns aber an den Ersten Weltkrieg erinnern. Die Kriegsniederlage 1918/19 brachte den Zusammenbruch der Österreichisch-Ungarischen Monarchie und die Verstümmelung des Königtums Ungarn. Durch den Friedensvertrag von Trianon/Versailles wurde das Land auf ein Drittel reduziert. Die Zahl der Bevölkerung schrumpfte auf weniger als die Hälfte und jeder dritte Ungar, eine Bevölkerung von drei Millionen,  geriet unter die Herrschaft einer fremden und nicht immer toleranten Regierung. Auch die Kirchen mussten sich in den mitteleuropäischen Länder neu organisieren. Bis zum 19. Jahrhundert gehen zurück die Erscheinungen und Wiederbelebungsversuche eines religiös-chauvinistisch motivierten Nationalismus in den verschiedenen mitteleuropäischen  Ländern, die auch schwere Katastrophen verursachten,  wie in den letzten Kriegen und Auseinandersetzungen unter Serben, Kroaten, Albaner im ehemaligen Jugoslawien der Fall war. Zu den Faktoren, die eine Nation oder eine Gruppe zusammenhalten, gehören nämlich nicht nur gemeinsame Werte, Religionen, Symbole und Sprache, sondern gehört auch ein gemeinsamer Feind. Das neue  ökumenische Programm von  „Heilendes Erinnern“ (Healing of Memories) könnte viel bei Vergangenheitsbewältigung in  Mitteleuropa helfen.

Nach dem Zweiten Weltkrieg kam dann die kommunistische Diktatur mit sowjetischer militärischen Unterstützung, und Mitteleuropa hat sich in der sog. „Zweiten Welt“, inmitten von kaltkriegerischen Auseinandersetzungen  gefunden. Nur nach jahrzehntelanger „babylonischer“ Gefangenschaft haben die Kirchen 1989/90 in den ehemaligen sozialistischen Ländern  Freiheit bekommen.[2]

   Statistisch zeigte Ungarn 1948 folgendes Bild:[3]

Römisch-katholisch                             6,240,427         67,8%

Griechisch-katholisch (unierte)                248,355          2,7%

Orthodox                                                36 010          0,4%

Reformiert                                          2,014,707         21,9%

Evangelisch-lutherisch                             482,152          5,2%

Unitarisch                                                  9,447          0,1%

Baptistisch                                               18.874          0.2%

Juden                                                    133,862          1,5%

Sonstige                                                    8,674          0,1%

Konfessionslos                                          12,291          0,1%

                                                          ______________________

Zusammen                                          9,204,799        100.0%

Die römisch-katholische   Mehrheitskirche stand damals wie auch in anderen Ländern der ökumenischen Bewegung ganz fern und ließ wissen, dass die „eine Kirche“[4] Christi ihre konkrete Existenzform in der Römisch-katholischen Kirche habe. Es gab Auseinandersetzungen zwischen Katholiken und Protestanten in der Frage der Mischehen und im Kampf um die Konfessionszugehörigkeit der Kinder, trotz der Auffassung vieler, dass man dem Ideal eines „christlichen Ungarn“, eines „Landes von Maria, der Gottesmutter“ am besten durch konfessionellen Zusammenhalt, durch Zusammenarbeit in der Erziehung und durch ein antikommunistisches Programm zur Geltung verhelfen könne.[5]

Die protestantische Orientierung beruhte auf der reformatorischen Überzeugung, dass „die eine, heilige, apostolische und katholische Kirche“ nicht mit den Grenzen einer bestimmten Kirche zusammenfällt, sonder „in, mit und unter“ allen Konfessionskirchen existiert. Es wurde die berühmte Losung der Bewegung für Praktisches Christentum (Life and Work)  der Konferenz in Oxford 1937 zitiert: „Lasst  die Kirche Kirche sein!“ Damit war gemeint: „Die Kirche hat keine wichtigere Aufgabe und kann der Welt keinen größeren Dienst leisten, als wenn sie wahrhaft Kirche ist!“ [6]

Darin war aber die Missionsaufgabe der Kirche wesensmäßig mit eingeschlossen. Die Einheit der Kirche ist gefordert um der wirksamen Ausführung des Missionsbefehls Jesu willen. Diese missionarische Hinwendung zur Welt wurde aber stets zusammen gesehen mit dem sozialen und humanitären Dienst der Kirchen, um die grausamen Folgen des Weltkrieges wegzuschaffen. Dieser „Säkularökumenismus“ betonte,  dass der Einheitswille Gottes nicht nur und nicht primär als auf die Kirche gerichtet verstanden werden darf, sondern auch in seiner gesellschaftlichen und kosmischen Weite gesehen werden sollte. Wichtig sei vor allem der Weg des gemeinsamen sozialen und politischen Einsatzes in der Welt, der durch Fragen der konfessionellen Lehre und Ordnung nicht blockiert werden dürfe.

Es entwickelte sich eine lebhafte Debatte über den prophetischen Dienst der Kirche in der Gesellschaft, und für diese ungarische Diskussion war die Kritik Karl Barths an der deutschen evangelischen Kirche von Bedeutung. Barth besuchte die ungarischen Kirchen 1948. Er hat die Neuorientierung der ungarischen protestantischen Kirchen in sozialen Fragen zunächst bejaht und verteidigte das Abkommen der Reformierten Kirche mit dem Staate. „Aber als er die Töne seiner Ausdeutung der Geschichte Gottes hörte, die seines Erachtens die geschichtlichen Ereignisse als eine Offenbarungsquelle verstand und damit als Gottes Willen identifizierte, erhob er seine warnende Stimme in einem Brief an A. Bereczky“, Bischof der Reformierten Kirche.[7]

 In diesem Zusammenhang müssen wir noch die Bedeutung der kirchlichen Aktionen für die Juden erwähnen. Es gab Pastoren, Gemeinden und verschiedene kirchliche Gruppen, die Tausende von Juden retteten. Eine gemeinsame Aktion haben die Leitungen der Reformierten und der Evangelisch-lutherischen Kirche gewagt, als sie einen gemeinsamen protestantischen Hirtenbrief verfassten und dem Ministerpräsidenten ein Memorandum überreichten (25. Juni 1944).[8] Es ist festzustellen, dass die stark religiös untermauerten antijüdischen Kampagnen und die innere Zerrissenheit der Kirchen zwischen den zwei Weltkriegen eine starke Opposition gegen die Unmenschlichkeit des Regimes verhinderten.

2. Prozess von Verlusten, Neubau, Unterdrückung und Anpassung (1948-56)

Nach dem Weltkrieg wurden eine provisorische Nationalversammlung und Regierung gebildet. Bei den Wahlen von 1947 erhielten die bürgerlichen Parteien, doch im Sommer 1949 dann die Kommunisten die erschwindelte Mehrheit. In Anwesenheit der sowjetischen Truppen gab es eine Säuberungsaktion in den politischen Parteien, im Behördenapparat, bei Armee und Polizei. Das Parlament verabschiedete die Verfassung der Volksrepublik (20. August 1949). Das Volk wusste damals aber nicht, dass die alliierten Westmächte mit einem Abkommen Ungarn der sowjetischen Sphäre opferten. Es gab sehr nachteilige Folgen für die Kirchen von den Verstaatlichungen der Landgüter, von der Aufhebung der geistlichen Orden und Diakonissengemeinschaften und vor allem von der Verstaatlichung der kirchlichen Schulen (15.Juni 1948), wie die Zahlen zeigen:[9]

                             Aus kirchlichem Besitz verstaatlicht     Insgesamt im Lande

 

Kindergarten..................................      202                            1 246

Grundschulen/Volkschulen .............    4 262                            7 016

Mittelschulen..................................      197                               555

Gymnasien.....................................        87                               173

Hochschulen..................................        30                                 42

Im Verlauf der Einführung der neuen sozialistischen Ordnung wurden viele Priester, kirchliche Angestellte und führende Amtsträger der verschiedenen Kirchen verhaftet, vor allem diejenigen, die gegen die Verstaatlichung der Schulen protestierten, wie z.B. Bischof Lajos Ordass (Evangelisch-lutherische Kirche) am 8.September 1948 und Kardinal József Mindszenty am 26. Dezember 1948. Die Kirchen wurden als ehemalige Verbündete des Kapitalismus und Faschismus und als eine „fünfte Kolonne“, als eine subversive Kraft angesehen. Es kam aber auch zu einer Polarisierung innerhalb der Kirchen,  wenn staatliche Direktiven über die Zensur der Rundfunkpredigten und kirchlichen Zeitungen erlassen und politische Frontalangriffe gegen die Kirchenleitungen unternommen wurden. Es gab nämlich auch in den Kirchen Kräfte, die den Verlust von Macht und Privilegien als eine Befreiung von lähmenden gesellschaftlichen Vorrechten und politischen Verpflichtungen sahen.

Eine Hauptfrage war die Trennung von Kirche und Staat. Staatsabkommen wurden von der Reformierten Kirche (7. Oktober 1948), von der Evangelisch-lutherischen Kirche (14. Dezember 1948) und von der Römisch-katholischen Kirche (30. August 1950) geschlossen. Diese Vereinbarungen waren keine traditionellen Konkordate, sonder eher Übereinkünfte in Angelegenheiten der beiderseitigen Interessen, eine Form des „Modus Vivendi“, eine Art von Anpassung. Die Abkommen bestimmten die Grenzen der kirchlichen Kompetenz in der sozialistischen Gesellschaft und gaben eine bestimmte „Freiheit unter Bewachung“. Zwar hatte die neue Verfassung 1949 die Gewissenfreiheit und das Recht auf freie Religionsübung garantiert, doch überwachte das Staatsamt für kirchliche Angelegenheiten das Leben und Wirken der Kirchen. Schule und Ausbildung sollten weltlichen Charakter und marxistisch-atheistische Grundzüge tragen. Der Staat setzte die Summe des finanzielle Zuschusses für die Bezahlung der Mitarbeiter und der Erhaltungskosten für das Eigentum der Kirchen fest. Religionsunterricht wurde außerhalb des Stundenplans der öffentlichen Schulen zugelassen, und die einzelnen Kirchen durften auch Mittelschulen haben (acht Gymnasien für die Römisch-katholische Kirche und ein Gymnasium für die Reformierte Kirche).

Mit Hilfe dieser Vereinbarungen hat der Staat die Kirchen gleichgeschaltet und eine Ökumene gemäß den Interessen der sozialistischen Gesellschaft gebildet.[10]

Die Pastoren, die Hierarchie und die kirchlichen Beamten sollten einen Eid auf die Ungarische Volksrepublik und deren Verfassung ablegen, der wie folgt lautete: „Ich schwöre, dass ich der Ungarischen Volksrepublik, ihrem Volk und ihrer Verfassung treu sein werde, die Verfassung und die verfassungsmäßigen Rechtsnormen einhalten, das offizielle Staatsgeheimnis bewahren, in meinem Amtsbereich den Interessen des Volkes dienen und mit allen meinen Kräften danach trachten will, dass ich mit meinem Wirken die Festigung und Entwicklung der Ungarischen Volksrepublik fördere.“[11]

Die kirchenpolitische Auseinandersetzungen um den zukünftigen Weg der Kirchen wirkte sich auch in Veränderungen der Kirchenleitungen aus. Die kommunistische Partei wünschte eine Leitung, die von „Überresten einer bedrückenden Vergangenheit“ nichts wissen wollte (z.B. Studentenpfarrer László Dezséry als Nachfolger von Bischof Lajos Ordass). In den protestantischen Kirchen wurde „offiziell“ die Zusammenarbeit mit der sozialistischen Gesellschaft als prophetischer Dienst bejaht. Die „dienende Kirche“ aber veränderte sich als eine „ausdienende Kirche“ ohne kritische Stimme!

Trotz Verschiedenheit in den örtlichen, nationalen, kulturellen und geopolitischen Kontexten von Land zu Land, z.B. eine nationale orthodoxe Kirche in Bulgarien, Rumänien, Serbien, eine römisch-katholische Mehrheitskirche in Polen, in der Tschechoslowakei, in Ungarn und Kroatien, kann es keinen Zweifel geben, dass die sozialistische Regierungen Mitteleuropas einen sehr harten ideologischen Kampf gegen Religion und Kirche führten.

    3. Ökumene und Revolution, 1956-1958

Wie in anderen sozialistischen Ländern trat in Ungarn nach der berühmten Rede Nikita Chruschtschows vor dem 20. Parteikongress in Moskau (25. Februar 1956) politisches Tauwetter nach den stalinistischen Jahren ein. Die Regierung versuchte ihre Kirchenpolitik so zu führen, dass sie ein gutes internationales Renommée bekäme. So kam es zur Jahressitzung des Zentralausschusses des Ökumenischen Rates der Kirchen in Galyatetö im Sommer 1956. Der römisch-katholische Erzbischof Grösz durfte schon 1955 das Gefängnis verlassen und Kardinal Mindszenty durfte die Gefängniszelle gegen Hausarrest eintauschen. Es gab Rehabilitierungen von Politikern, Künstlern und Philosophen. Die zur Zentralausschusstagung gekommenen westlichen Kirchenleiter (Bischof Lilje, Präsident Frey, die Generalsekretäre  Visser’t Hooft und Lund-Quist) haben erreicht, dass Bischof Lajos Ordass, der auch Vizepräsident des Lutherischen Weltbundes war, staatlich und kirchlich mit seinen Kollegen zusammen rehabilitiert wurde.[12]

Nach dem Aufstand in Polen (Juni 1956) gab es in Budapest am 23. Oktober 1956 zunächst eine große Demonstration mit politischen Parolen gegen die Regierung. Als Schüsse in die Reihen der Demonstranten abgefeuert wurden, schlugen die Demonstrationen in einen bewaffneten Aufstand um. Die dramatischen Ereignisse zwischen 23. Oktober und 4. November 1956 können wir hier nur zusammenfassend darstellen. Es ging nicht mehr um Reformen unter Leitung von Ministerpräsident Imre Nagy, sondern um eine Revolution, eine  Umwandlung der Gesellschaft. Kardinal Mindszenty wurde befreit und sowohl in der Reformierten wie auch in der Evangelisch-lutherischen Kirche kamen die früher von den Staatsorganen entfernten Mitarbeiter und Leiter zurück. Als die Revolution nach dem 4. November von den sowjetischen Truppen blutig niedergeschlagen wurde, gab es einen großen Flüchtlingsstrom.

Kardinal Mindszenty flüchtete in die amerikanische Botschaft von Budapest und blieb dort siebzehn Jahre lang. Die protestantische Kirchen aber bekamen zunächst eine Atempause. Bischof Ordass konnte mit einer Delegation noch im Sommer 1957 zur Vollversammlung des Lutherischen Weltbundes nach Minneapolis, Amerika reisen. Später aber mussten zuerst die Bischöfe und Leiter der Reformierten Kirche, dann aber auch die aller anderen Kirchen, die im Zuge der Revolution in ihre Ämter gekommen waren, diese gemäß Gesetzesverordnung wieder verlassen.[13] Trotz aller ökumenischen ausländischen Protestaktionen musste Bischof Ordass das Bischofsamt an László Dezséry zurückgeben (24. Juni 1958), der aber sofort seinen Rücktritt mitteilte. Senior Zoltán Káldy wurde dann als neuer Bischof eingeführt (4. November 1958). In der Reformierten Kirche kam Bischof János Péter, Debrecen, nicht zurück und Bischof Tibor Bartha wurde sein Nachfolger.[14]

Auf die Revolution folgte eine sozialistische Konsolidierung und eine Terrorwelle ging über das Land. Leute, die während des Aufstands eine aktive Rolle gespielt hatten, wurden verhaftet, unter ihnen auch Pfarrer. Es gab zwei Fronten, Leute mit einer „revolutionären“ und mit einer „konterrevolutionären“ Orientierung. „...Den Kampf zwischen den Alten und dem Neuen in der Kirche  verdeutlicht uns, dass auch heute die Grenze nicht zwischen Gläubigen und Ungläubigen, sondern zwischen Feinden und Freunden des Sozialismus verläuft“... (Bischof E. Ottlyk) [15]

    4. Vom Konflikt zur Koexistenz und zum Dialog, 1958-1989

Über mehr als dreißig Jahre haben wir hier die „Kirche im Sozialismus“ zu analysieren. Nach den Jahren des grausamen Stalinismus und der Terrorwelle als Antwort auf die Revolution 1956, haben die sozialistische Regierungen etwas mildere Wege eingeschlagen. Eine Studie des Lutherischen Weltbundes hat die sozialistische Länder zwischen 1970-78 untersucht [16] und es gab eine weltweite Interesse  für die Probleme von Kirche und Staat im Sozialismus.

Die Feststellung des amerikanischen Soziologen Robert N. Bellah, dass auch „Civil Religion“ als religiöse Dimension der Gesellschaft durchaus ernst zu nehmen sei, ihre eigene Integrität habe und zu ihrem Verständnis einer ebenso sorgfältigen Untersuchung bedürfe wie jede andere Religion, wurde von der Studienabteilung des Lutherischen Weltbundes zwischen 1981 und 1987 mit Hilfe von Studien über die Wechselwirkung von Religion und den Grundwerten für Volk, Nation und Staat weltweit analysiert, auch in den sozialistischen Ländern. Anders als von Fall zu Fall, von Land zu Land kann über die allgemeine Bedeutung dieser religiösen Dimension im Hinblick auf die gesellschaftliche Situation einerseits und auf eine theologische Auswertung als Anknüpfungspunkt für die Verkündigung oder für den prophetischen Protest andererseits nicht entschieden werden.[17]

Wie vor der Revolution 1956 gab es auch jetzt eine Reihe von Möglichkeiten: Konformismus, ideologische Differenzierung, Opposition, Ghetto-Existenz, kritische  Solidarität. Es gab auch verschiedene Dimensionen der christlichen Mitarbeit im Leben der sozialistischen Gesellschaft: von Person zu Person, durch die noch immer bestehenden kirchlichen Institutionen und Strukturen (Gemeinde, Religionsunterricht, Sonntagsschule, Amtshandlungen, usw.), durch die gesellschaftliche Strukturen (Organisationen, wie z.B. die Patriotische Volksfront, das Parlament) oder durch die sozialen Auswirkungen der Kirche (diakonische Institutionen, usw.), und es gab eine wichtige  Entwicklung auf dem Weg vom Konflikt zum offiziellen Dialog.

Die Geschichte des Dialogs zwischen Christen und Marxisten in Europa bezieht sich auf weltweite ökumenische Vorbereitungen. Die Weltkonferenz „Kirche und Gesellschaft 1966“ in Genf formulierte: „...Zwischen Christen und nichtchristlichen Anhängern sozialer Ideologien ist ein direkter Dialog möglich. Insbesondere bitten wir den Ökumenischen Rat der Kirchen dringend, überall in der Welt auf internationaler Basis einen informellen Dialog mit Marxisten zu beginnen...“[18]

Die internationale Paulus-Gesellschaft hat die erste Tagungen in Salzburg, Herrenchiemsee, Marianské-Lazné/Marienbad und Bonn organisiert. In Ungarn kam es in 1981 zum ersten Mal zu einem theoretischen Dialog (Debrecen). Im Laufe des Dialogs wurden Gespräche über die folgenden Themenkreisen geführt:

-         die Verbindung des Glaubens und des Wissens in den heutigen christlichen Lehren,

-         der Begriff des Menschen und der Persönlichkeit,

-         die sozialpolitischen Lehren des heutigen Christentums,

-         absolute und relative Grenzen zwischen Marxismus und der christlichen Theologie,

-         die Möglichkeit des Dialogs zwischen marxistischen Philosophen und protestantischen Theologen sowie dessen Grenzen,

-         neue Möglichkeiten der gemeinsamen Arbeit und des gemeinsamen Denkens,

-         die ökumenischen und internationalen Perspektiven des marxistisch-christlichen Dialogs.

Als Ergebnis konnte u.a. formuliert werden: „Der Dialog half der Religionskritik auch dabei, dass sie nicht nur die negativen Züge der Religion, sondern auch deren positive geschichtliche Bedeutung erkennen kann; dass also z.B. die Weltanschauung eines Christen; obwohl sie seiner Religion, seinem Glauben entspringt, nicht die primäre Offenbarung der Religion ist.“ [19] Man musste also lernen, dass Dialog heißt, wenigstens einander anzuhören und anzuerkennen. Deswegen war Gott für die Marxisten nicht „ ganz tot“, genauso wie Marx für die Theologen nicht „ganz tot“ war.

Es sei bemerkt, dass der Dialog oft nicht geführt, sondern „zitiert“ wurde. In den sozialistischen Gesellschaften gab es eine Kluft zwischen der religiösen und ideologisch-marxistischen Sprache, es gab keine gemeinsame begriffliche Klarheit. Eine berechtigte Kritik meldete sich: „...Man bildet gleichsam eine gespaltene Gemeinde, in der jeder des anderen Prophet ist und in der die durchgängige Überzeugung von einer umfassenden Gemeinsamkeit immer berufen, aber nie erprobt wurde...“ [20] Zur gleichen Zeit bedeutete der internationale Dialog eine  theologische Bestandesaufnahme und ökumenische Annäherung unter den europäischen  Kirchen über gesellschaftliche Fragen.

Die Beratungen und die Schlussakte  der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (Helsinki, 1973-1975) hatte große Bedeutung für die Ost-West-Beziehungen. Zeichen des Tauwetters: die Teilnahme der Delegierten aus sozialistischen Ländern an ökumenischen Konferenzen, Kontaktmöglichkeiten der Kirchen, Stipendien für junge Theologen und kirchliche Mitarbeiter, Konferenzen von ökumenischen Organisationen in den sozialistischen Ländern, usw. Ein Höhepunkt der ökumenischen Kontakte war die Vollversammlung des Lutherischen Weltbundes in Budapest  (22.Juli-5.August 1984). Der Bischof der Evangelisch-lutherischen Kirche, Zoltán Káldy wurde zum Präsidenten des Weltbundes gewählt.[21]

In diesem Zusammenhang müssen wir die Frage der „diakonischen Theologie“ erwähnen. Zwar kam zuerst in der Reformierten Kirche Ungarns eine innere Neuorientierung als „Theologie der dienenden Kirche“ auf (Imre Révész, Zoltán Tildy, Albert Bereczky), doch wurde die diakonische Theologie erst 1984 in Zusammenhang mit der Vollversammlung in Budapest und durch den kritischen Brief des ungarischen Pfarrers Zoltán Dóka gegen Bischof Káldy wirklich zum ökumenischen Problem.[22] „Theologie der Diakonie“ war ein Schlüsselbegriff zur Ortsbestimmung der Kirche in der sozialistischen Gesellschaft Ungarns und bestimmte die gesamte ungarische offizielle Ökumene und beeinflusste die internationale Tätigkeit der Christlichen Friedenskonferenz von Prag.

Eine systematische Zusammenfassung der Theologie der dienenden Kirche finden wir in den Erklärungen der Synode von 1967 der Reformierten Kirche in Ungarn. Bischof Tibor Bartha würdigt diese Theologie als eine auch für die Ökumene wichtige „spezifische und autonome ungarische reformierte Theologie und als evangelischen Kalvinismus“.[23]

Aus den Grundfragen dieser Theologie sind ökumenisch vor allem die Probleme des Friedensdienstes hervorzuheben. Nicht nur die sehr aktive internationale Christliche Friedenskonferenz von Prag, sondern auch die nationale Friedensorganisation unter Leitung von Kardinal Lékai und Bischof Bartha haben ökumenisch bedeutende Konferenzen in Ungarn organisiert.[24] Die Problemkreise wurden nicht nur mit  der kirchenpolitischen Zielsetzung eines „Modus Vivendi“ angegangen, sondern auch aus theologischen Ansprüchen. Bischof Káldy hat davon mit Selbstsicherheit gesprochen: „Unter der Leitung des Heiligen Geistes wandert unsere Evangelisch-lutherischen Kirche auf dem Wege der Diakonie. Die Entdeckung dieses Weges und das In-Gang-Setzen des diakonischen Weges der Theologie sowie ihr Durchdenken, ihre exegetische Begründung wird in unserer lutherischen Kirche mit meinem Namen verbunden. Ich nehme dies an.“ [25]  Doch können wir die Stimmung einer „Begleitliturgie“ zur Staatsmacht mithören: „Zwischen der diakonischen Theologie unserer Kirche und der sozialistischen Gesellschaftsordnung besteht kein Widerspruch. Nachdem wir von der kapitalistischen Gesellschaftsordnung befreit waren, erkannten wir Christus als Dienenden und stellten uns in der Kirche, in der Gesellschaft und in der großen Menschheitsfamilie  in seine Nachfolge“ (E.Ottlyk).[26]

Diese angenommene „amtliche Theologie“ exklusiv sollte als eine Gesamtinterpretation des christlichen Glaubens auch gegen den Irrweg der Opposition von Bischof Ordass und Kardinal Mindszenty gelten und der Ökumene das positive Bild eines prophetischen Dienstes zeigen.[27] Mit Hilfe von Studienbänden für die Vollversammlungen und Konferenzen des Ökumenischen Rates, der konfessionellen Weltbünde und der Christlichen Friedenskonferenz versuchte die ungarische Ökumene, ihren Weg von den Konflikten des Jahres 1956 zur Koexistenz und zum Dialog in den siebziger und achtziger Jahren zu dokumentieren ( Genf 1966 und für alle Vollversammlungen des ÖRK, LWB und RWB).[28] Das Bild von einer „verantwortlichen einheitlichen sozialistischen Gesellschaft“ wurde aber durch das Ereignis der Okkupation der Tschechoslowakei von den sozialistischen Länder im August 1968 zerstört. [29]

5. Im Prozess der Vergangenheitsbewältigung und Neuorientierung, 1989-2005

Nach jahrzehntelanger „babylonischer“ Gefangenschaft haben die Kirchen in den ehemaligen sozialistischen Ländern eine neue Freiheit bekommen. Wie die Vergangenheit und die ökumenische Situation der einzelnen Länder, hatte auch die neue Welle des politisch-gesellschaftlichen Umbruchs keinen einheitlichen Kalender. Man kann in Ungarn vielleicht das Jahr des Todes von Bischof Káldy (1987) als Beginn der Wende in der Kirche und der Gesellschaft ansehen (Bildung erster Oppositionsgruppen mit Zielsetzung des friedlichen Systemwechsel,  neue Bischöfe, wie I. Seregély und B. Harmati in den Kirchen). Die politische und wirtschaftliche  Umstrukturierung kam dann von 1989 an ( Abbau der Grenzsperren zu Österreich und Öffnung der Grenzen für die DDR-Flüchtlinge, Umwertung der Ereignisse 1956 von „Konterrevolution“ zur Revolution und zum Volksaufstand, Verzicht der Sozialistischen Arbeiterpartei auf ihre in der Verfassung verankerte Führungsrolle, Übergang zu einer parlamentarischen Mehrparteiendemokratie).[30]

Ein neues Religionsgesetz wurde vom Parlament verabschiedet (24.Januar 1990), unter Beibehaltung der Trennung von Kirche und Staat, aber mit Gewährung freier Religionsübung für alle Bürger und unter Abschaffung der Staatskirchenverträge von 1948 und 1950. Das Staatliche Kirchenamt wurde aufgelöst. Die Regierung hob die Vereinbarungen mit der Römisch-katholischen, dann mit der Reformierten und der Evangelisch-lutherischen Kirche auf ( 26. Februar, 19. März 1990). Es gab die erste freie Parlamentswahl seit 44 Jahren (März 1990) und die Regierung verhandelte mit den Kirchen über die Rückgabe des verstaatlichten Kirchenbesitzes (Gesetz Nr.XXXII, 22.Juli 1991). Neue kirchliche Schulen, Gymnasien, Universitäten und Einrichtungen, diakonische Anstalten wurden eröffnet. Die sowjetische Armee verließ 1991 das Land und Ungarn trat aus dem Warschauer Pakt aus. 1994 wurde das Land Mitglied der NATO und am 1. Mai 2004  Mitglied der Europäischen Union.

Es kam zur Wiederaufnahme diplomatischen Beziehungen zwischen Ungarn und dem Vatikan. Neue römisch-katholische Bischöfe und Kardinäle wurden ernannt und in den protestantischen Kirchen kam es zu Neuwahlen (B.Bábel, M.Mayer, A.Veres, P.Erdö, L.Hegedüs, G.Bölcskei, I.Szebik, J.Ittzés) Kardinal Mindszenty und Bischof Ordass wurden von der Regierung   posthum rehabilitiert.[31] Die Kirchen bekamen Zugang zu den Massenmedien und die gesellschaftsdiakonischen Dienste (Flüchtlingshilfe, Suchtkranke, usw.) wurden in ökumenischer Zusammenarbeit erweitert (Gründung eines Ökumenischen Hilfswerkes.[32] Die Situation hat die Zeichen eines christlichen Aufbruchs gezeigt (zunehmende Anzahl der Taufen auch bei Erwachsene, Bewegungen zur Vertiefung der Spiritualität, liturgische Erneuerung, neue Bibelübersetzung, Jugendbegegnungen und Evangelisationen, neue ausländische Partnerkirchenkontakte, Gründung eines protestantischen kirchlichen Theaters und eines römisch-katholischen Radio, usw.)

Es gab und gibt  auch Auseinandersetzungen beim Prozess der  Verzögerung der Vergangenheitsbewältigung. Die Geschichte der letzten sechzig Jahren ist noch zu frisch und zu komplex, um sie objektiv beurteilen zu können. Eine umfassende Analyse und Bewertung dieser Epoche kann erst aus entsprechender Distanz und als Ergebnis einer breiteren Konsenses erfolgen. Es entstand eine Fülle von Versuchen, Bilanz zu ziehen. Als Beispiel können wir die Erklärung des Diözesanpresbyteriums Süd der Evangelisch-lutherischen Kirche erwähnen.[33]

Im Prozess von „Heilendes Erinnern“ (Healing of Memories) meldeten sich auch ökumenische Weltzusammenhänge als zusätzliche Probleme. Eine große Debatte entstand über die Freiheit der Kirchen und Minderheiten in Rumänien und  Jugoslawien und über die Behandlung dieser Fragen in der Weltökumene (die Epoche Ceauscescus  mit Druck auf Kirchen, nationale Minderheiten, die Verletzung der Menschenrechte, Dorfzerstörungen, Flüchtlingsströme, Balkankrieg, der Ökumenischer Rat in der „Zwangsjacke der ökumenischen Diplomatie“, usw.).[34] Es gab aber auch Zeichen der Versöhnung, wie die Tagung der Kirchen 1990 aus Rumänien und Ungarn  zeigt.[35]

In Mitteleuropa können wir rückblickend auf 50-60 Jahre von einem Hunger nach Transzendenz sprechen, dies bedeutet aber nicht, dass wir einem Hunger nach der Kirche als Institution begegnen. Es gibt verschiedene religiöse Elemente, die in Form volkskirchlicher Tradition, im Verhältnis zwischen Kirche und Nation und als Tiefenstrukturen von Grundwerten lebendig sind. Viele warnen heute vor zunehmenden Wiederbelebungsversuchen eines religiös-chauvinistischen Nationalismus. Das Jahr 1983 zeigte in der DDR, wie ein sozialistischer Staat versucht hat, aus Anlass der Martin-Luther-Ehrung das historische nationale Erbe zu interpretieren und dadurch einen legitimierenden Einfluss auf die gesellschaftliche Einheit des Volkes zu nehmen.[36]

Die Schwierigkeit der nachbarthianischen Theologie, mit Religion überhaupt umzugehen, sollte die Kirche bei der Fülle von exotischen und esoterischen neuen Religionen, die in Europa in Angriff sind, überwinden, da wir im Grunde genommen nicht zu wenig, sondern eher eine große Suche nach „zu viel Religion“ haben. Es gibt in Ungarn heute mehr als 140 eingetragene Kirchen und Religionen. Zum religionswissenschaftlichen Nachholbedarf der Theologie gehört hier auch die Säkularisierungstheorie neu zu überdenken, wie, wo, auf welche Weise „die Legende“ vom „religionslosen Zeitalter“[37]heute zu verstehen ist. Die Statistik 2004 gibt folgendes Bild über die Religionszugehörigkeit in Mitteleuropa:[38]

                   Kirchenzugehörigkeit in %                          Einwohner

                 

                   Estland................................. 26-28%         1,430.000

                   Lettland................................ 55-58%         2,330.000

                   Litauen................................. 87-89%         3,430.000

                   Polen.................................... 92-93%       38,741.000

                   Rumänien.............................. 95-96%       22,458.000

                   Slowakei............................... 87-88%         5,408.000

                   Tschechische Republik........... 48-49%        10.300.000      

                   Ungarn.................................. 75-76%       10,187.000

Die heutige kirchliche Situation trägt die Zeichen eines ökumenischen Aufbruchs. Die neu gesellschaftlichen Möglichkeiten des Dienstes konnten die Kirchen „nur miteinander und füreinander“ wahrnehmen. Es gab Gruppen, die raschen organisatorischen Reformen in der Kirche Priorität einräumten („sola structura“). Man musste aber feststellen, dass Organisation und Strukturen in der Kirche stets sekundär sind. Nicht die finanzielle Selbsterhaltung der Kirche („sola pecunia“) und Beibehaltung der alten Privilegien machen ihr „Proprium“ aus, sondern ihre „geistliche, spirituelle Dimension“, das Evangelium. Die schwierige Frage bleibt, wie wir dieses Proprium dort verständlich machen können, wo wir die Versäumnisse der Vergangenheit mit uns herumschleppen.

Der Papstbesuch vom 16-20 August 1991 in Ungarn bedeutete den Wendepunkt der ungarischen Ökumene. Die historische negative Einstellung der Protestanten und Nichtchristen gegenüber Rom wurde gemildert. Ein ökumenischer Gottesdienst fand in der reformierten Kirche von Debrecen statt und der Papst hat mit „Heilendem Erinnern“ im Gebet an die protestantischen Märtyrer gedacht, die als Galeerensklaven  1675 nach Neapel  verkauft worden. Es sei erwähnt, dass die ungarische reformierte und die evangelisch-lutherische Kirchen eine Diasporazusammenarbeit und Kanzel-und Abendmahlsgemeinschaft praktizieren, die  die Leidenszeit der blutigen Gegenreformation überwindet. Die Unterzeichnung der Leuenberger Konkordie 1975 hat diese Zusammenarbeit bestätigt.[39] In Rahmen des schon 1943 gegründeten Ökumenischen Rates der Kirchen in Ungarn gibt es Arbeitsverbindungen, theologischen Dialoge, ökumenischen Programme „in versöhnter Verschiedenheit“ auch mit der Römisch-katholischen Kirche (Weiterarbeit an Fragen der Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre, Augsburg 1999; Rezeption von ökumenischen Dialogsdokumente, usw.) wenn auch ohne Fortschritt in Fragen der gemeinsamen Eucharistie, der gegenseitigen Anerkennung der Ordination, usw.

Die Charta Oecumenica 2001 erinnert uns: ... „im Geiste des Evangeliums müssen wir gemeinsam die Geschichte der christlichen Kirchen aufarbeiten...“ Es war und es ist nämlich die Versuchung der politischen Machthaber der Welt,  das Ende des Vaterunser umzuformulieren : „Mein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit“, und eine totalitäre Gesellschaft zu schaffen. Zur gleichen Zeit  ist es auch eine Versuchung der Kirche, die weltliche Macht mit „begleitender Liturgie“ in falscher Weise zu unterstützen.

                       INFORMATION ÜBER UNGARN

 

Fläche............................. 93,030 km    Einwohner...............   10,187,000,  110/km²

Amtsprache......... ungarisch (magyar)   Bevölkerung......................96,9% ungarisch

Nationale Minderheiten: Roma, Deutsche, Slowaken, Serben, Kroaten, Rumänen,usw.                                                                                                                                  

Staat –und Regierungsform: Republik auf parlamentarische Grundlage.

Währung: 1 Forint (HUF) = 100 Fillér

Internationale Mitgliedschaften: UNO, OECD, NATO, OSZE, WEU, EU seit 01.05.2004 

Hauptstadt: Budapest mit 1,695,ooo Einwohner

Religionen: R.k. und Griechisch-kat.Kirche (58-60 %),Protestanten:Reformierte, Ev.luth., Baptisten, Methodisten (17-20 %), Orthodoxen (0,3%), Juden (0,2%).

Die Evangelisch-lutherische Kirche in Ungarn: 300-330,000 Mitglieder, 3 Distrikte mit 3 Bischöfen (Nord, Süd, Westdistrikt), 16 Kirchenkreise (Seniorat) mit Senioren (Dekan), 256 Muttergemeinden mit Filialgemeinden. 330 Pfarrer/innen.

Landeskirchenamt: HU-1085 Budapest, Üllöi út 24. Leitender Bischof und zugleich Bischof des Westdistriktes (Transdanubien):  János Ittzés (2006).      

[1] Charta Oecumenica, 22.04.2001, Straßburg, II. Auf dem Weg zur sichtbaren Gemeinschaft der Kirchen in Europa.

[2] Vgl. zur Thematik: M.Walker, The Cold War and the Making of the Modern World. London 1993. Hans Vorster (Hg.), Ökumene in Ungarn, der Tschechoslowakei und Polen, Beiheft zur Ökumenischen Rundschau Nr.64, Frankfurt a.M. 1992.  David Reynolds (Hg.), The Origins of the Cold War in Europe. International Perspectives. New Haven 1994.  M. Greschat – W. Loth, Die Christen und die Entstehung der Europäischen Gemeinschaft. Stuttgart 1994.  Francois Furet, Das Ende der Illusion. Der Kommunismus im 20. Jahrhundert. München 1996. Leslie Laszlo, Church and State in Hungary, 1919-1945. Budapest 2004. Länderinformationen – Kirchenamt der EKD (Hg.), Kirchliche Partnerbeziehungen in Europa.  Hannover 2004. Heinz-Jürgen Joppien (Hg.), Der Ökumenische Rat der Kirchen in den Konflikten des Kalten Krieges. Beiheft zur Ökumenischen Rundschau Nr.70, Frankfurt a.M. 2000.

[3] Leslie Laszlo, a.a.O. S.346.  Pro Mundi Vita, Dossiers 1984/2, „Die Kirche in Ungarn“.  INFO-Társadalomtudomány, MTA 17/1991. 62.

[4] Das II. Vatikanische Konzil, Lumen Gentium, Par. 8.

[5] Tibor Fabiny, Bewährte Hoffnung. Erlangen 1984. 62.

[6] Rouse, R./Neill, St., Geschichte der ökumenischen Bewegung 1517-1948. Göttingen 1957. II. 248.

[7] Vilmos Vajta, Die „diakonische Theologie“ im Gesellschaftssystem Ungarns. Frankfurt/Main 1987.14.  Révész Imre, Vallomások, Ref. Zsinati Iroda. Budapest 1990. 102. 152.  Karl Barth, Abschied 1933., in: Der Götze wackelt, 1961. 66.

[8] „Wir geben den Gemeinden zur Kenntnis, dass die beiden Kirchen des Evangeliums nach mehrmaligem mündlichem Vortrag und wiederholter schriftlicher Vorlage am 21. Juni dieses Jahres dem königlich-ungarischen Ministerpräsidenten ein feierliches Protest -und Bittgesuch überreichten. In diesem Memorandum verwiesen sie darauf, welch tief bedauerliches Ereignis die Verfolgung und Deportation des ungarischen Judentums – ob Christen oder nicht – darstellt. ... Diese Art der Lösung der Judenfrage verstößt gegen das ewigwährende moralische Gebot Gottes. ... Als Zeugen des Wortes Gottes verurteilen wir jede Art der Behandlung der Juden, die gegen die Menschenwürde, die Gerechtigkeit und Barmherzigkeit verstößt und das schreckliche Urteil unschuldig vergossenen Blutes über unser Volk bringt. ... Zugleich bitten wir die ungarische Regierung innigst darum, der Grausamkeit ein Ende zu machen. ... Mit tiefem Schmerz müssen wir feststellen, dass wir ein Ergebnis unser Bitte nicht erkennen können. ... Wir fordern die Gemeinde zur Buße und das gesamte ungarische Volk zur Demütigung unter die mächtige Hand Gottes auf und beten zu Gott, seine Gnade und erhaltende Gunst unserem ungarischen Volk zuzuwenden.“  T.Fabiny, a.a.O. 63.  Eugene Levai, Black Book on the Martyrdom of Hungarian Jewry, Zürich 1948.

[9] Statisztikai Èvkönyv, in: Beszélö, 27. April 1991. 11.

[10] Dazu sei aus dem Übereinkommen zwischen Regierung und katholischem Episkopat zitiert: „...Im Sinne der staatsbürgerlichen Pflichten anerkennt und unterstützt der Episkopat die staatliche Ordnung und die Verfassung der Ungarischen Volksrepublik. ... Der Episkopat verurteilt jede gegen die staatliche und gesellschaftliche Ordnung der Ungarischen Volksrepublik verstoßende aufrührerische Tätigkeit, woher immer sie kommen mag, und erklärt, den Einsatz der religiösen Gefühle der Gläubigen und der katholischen Kirche für staatsfeindliche politische Ziele nicht zu gestatten. ...(Er) appelliert im besonderen an die Geistlichen, der Bewegung zur Gründung von landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften keinen Widerstand entgegenzusetzen ..., unterstützt den Kampf für den Frieden, ... verurteilt jede Kriegshetze und die Anwendung der Atombombe...“ Eugen Voss (Hrsg.), Die Religionsfreiheit in Osteuropa. Zürich-Zollikon 1984. 264 f.

[11] Ludwig Vetö, Vom Aufbau der Kirche in Ungarn. Hamburg-Volksdorf 1955. 97

[12] Szépfalusi István /Hg.), Ordass Lajos, Önéletrajzi Írások, I-II. EPMSZ Bern 1985, 1987. II.469.

L.G. Terray, In königlicher Freiheit, Bischof L. Ordass, 1901-1978. Erlangen 1990.

Die mit Ordass zusammen  rehabilierten Budapester Pfarrer waren: Pfr. György Kendeh und Pfr. Dr. András Keken.

[13] Gesetzesverordnung Nr. 22  der Volksrepublik vom 24. März 1957 und rückwirkend (!) vom 1. Oktober 1956 über die Besetzung von kirchlichen leitenden Stellen nur mit Genehmigung des Staates.

[14] Die abgedankten Bischöfe Dezséry und Péter haben staatliche Ämter bekommen, Dezséry bei der Ungarischen Rundfunk und Péter als Parlamentsabgeordnete und auch als Minister für Äußeres der Volksrepublik.

[15] Ernö Ottlyk, Der Weg einer evangelischen Kirche im Sozialismus, Berlin 1982. Umschlagseite.

[16] Gerd Decke (Hg), The Encounter of the Church with Movement of Social Change in Various Cultural Contexts. LWF. Geneva 1977.  Theologische Reflexion über die Begegnung der Kirche mit dem Marxismus in verschiedenen kulturellen Kontexten. Arbeitstagung des Lutherischen Weltbundes, Aarhus (Dänemark). Junge Kirche, Sonderdruck 10/1977. Bremen.

Pungur, Joseph, The Churches in Communist Hungary 1948-1990. Hungarian Studies Association of Canada, Calgary 1994.  Ramet, Sabrina P. Protestantism and Politics in Eastern Europe and Russia: The Communist and Post-Communist Eras. Duke University Press, Durham 1992.

[17] Béla Harmati, Die Kirche und Civil Religion. Ein Studienprojekt des Lutherischen Weltbundes, 1981-1987. In: Epd-Dokumentation, Nr.18/87. Frankfurt/M. 1-12. H. Kleger & A.Müller (Hg.),Religion des Bürgers. Zivilreligion in Amerika und Europa. München 1986.  Rolf Schieder, Civil Religion: Die religiöse Dimension der politischen Kultur. Gütersloh 1987.  B.Harmati, Civil Religion, in: Dictionary of the Ecumenical Movement, Geneva 1991.  M. Tomka-P.M. Zulehner (Hg.), Religion in den Reformländern Ost(Mittel)Europas. Gott nach dem Kommunismus. Ostfildern 1999.

[18] Appell an die Kirchen der Welt. Stuttgart 1967. 259.

[19] Ungarn: Marxistisch-christlicher Dialog über die Religion, in: Lutherische Welt-Information, Genf, Nr. 49/81. 4.

[20] Dialog in Marienbad, in: Neues Forum, Wien, Juni/Juli 1967. 459.

[21] Vom Weltbund zur Gemeinschaft. Geschichte des Lutherischen Weltbundes 1947-1997. Hrsg.v.J.H.Schjörring, P.Kumari, N.Hjelm. Hannover 1997.  Budapest 1984 – „In Christus – Hoffnung für die Welt“. LWB-Report Nr.19/20. Stuttgart 1985.

[22] P. Philippi-Th.Strohm (Hg.), Theologie der Diakonie. Heidelberg 1989. V.Vajta, a.a.O. 101 f. Dóka Zoltán, Nyílt levél. In: Erös Vár, Cleveland, 1984/5-6. 5-7.

[23] T. Bartha/L. Makkai (Hg.), Tanulmányok a Magyarországi Református Egyház történetéböl 1867-1978. (Studia Acta Ecclesiastica V), Budapest 1983. 592.

[24] Z.B. Konferenz  mit der Ungarischen Akademie der Wissenschaften zusammen,  28.Februar-1.März 1984, „Die Verantwortung des Menschen in der heutigen Welt“, mit Marxisten und bekannten Theologen, wie Karl Rahner, Wolfhart Pannenberg, Erwin Fahlbusch.

[25] Aus Anlass des 25. Jahrestages seiner Einführung als Bischof. Z. Káldy, Vallomás az elmúlt 25 évröl (Zeugnis von den vergangenen 25 Jahren). In: Lelkipásztor, Budapest 1984. Nr. 1. 3.

[26] E.Ottlyk, a.a.O. 150.

[27] V.Vajta, a.a.O. 101 f.

[28] Dictionary of the Ecumenical Movement, Geneva 1991. 379-80.

[29] Josef Smolik, Ökumene aus der Perspektive von Prag. In: H-J. Joppien (Hg.). a.a.O. 199-205. H.Vorster (Hg.), a.a.O. 71-106. Heinz Joachim Held, Ökumene im Kalten Krieg. In:H-J. Joppien (Hg.),a.a.O.21-161.

[30] Dalos, György, Ungarn vom Roten Stern zur Stephanskrone. Frankfurt/M 1997. Molnar, Miklos, Geschichte Ungarns, Hamburg 1999. Lendvai, Paul, Die Ungarn – Eine tausendjährige Geschichte. München 2001.

[31] Staatliche Rehabilitierung von Bischof Ordass am 23.April 1990, kirchliche Rehabilitierung am 17.Mai 1990. In: Szépfalusi, a.a.O.II. 782-785. Baer, H.D., The Lutheran Church in Communist Hungary: Quest for Moral Integrity. Texas University Press 2005.

[32] Glaube in der 2.Welt, Schwerpunkt Ungarn, Zollikon-Zürich Nr.7-8/1990. 21-37.

[33] „...In dem nun zu Ende gegangenen Zeitabschnitt wirkte unsere Kirche im Rahmen eines totalitären Staates, der unsere Einrichtungen zerstörte, unsere Mission lähmte, uns die Freiheit raubte und unser Leben einschränkte....Unter diesem Regime wurde unsere Kirche zum Handlanger des Regimes, anstatt der prophetischen Sendung gerecht zu werden und die Aufgabe auf sich zu nehmen, Gewissen der Gesellschaft zu sein...Im Stich gelassen haben wir auch die Opfer der Politik, die Verschleppten, die Ausgesiedelten, unsere als Kulaken abqualifizierten Schwestern und Brüder, die Opfer der nach 1956 geübten Vergeltung...Vor Einäugigkeit sollten wir uns hüten. Gottes Heiliger Geist wirkte auch in dieser Zeit unter seinem Volk... Für die Sünden der Vergangenheit sind nicht alle gleichermaßen verantwortlich. Die einen waren Handlanger der Macht, die anderen waren ihre Opfer. Einige haben ihr Gewissen aus Karrieresucht vergewaltigt, andere von Angst Getriebene aus Sorge um das eigene Schicksal, um jenes der Familie oder der Gemeinde...Jeder einzelne muss auch die eigene Verantwortung einer Prüfung unterziehen und eingestehen, wo und in welchem Ausmaß er Schuld auf sich geladen hat....Die Kontinuität bejahend tun wir als Presbyterium der Diözese Süd Buße für diese Sünden. Wir bitten Pfarrer und Gemeinden, das gleiche zu tun...“ (17. März 1990). Glaube in der 2.Welt, a.a.O. 33 f.

[34]  Heinz Joachim Held; Ökumene im Kalten Krieg, in: H-J. Joppien (Hg.) a.a.O. 82-132. G.Besier-A.Boyens-G.Lindemann, Nationaler Protestantismus und Ökumenische Bewegung.Kirchliches Handeln im Kalten Krieg (1945-1990). Berlin 1999.

[35] Reformierte, Evangelisch-lutherische, Orthodoxe Kirchen und die Baptistenunion veranstalteten November 1990 auf Einladung der Konferenz Europäischer Kirchen in Novi Sad (Jugoslawien) eine Konferenz. Sie erklärten: „Im Geist aufrichtiger Buße bedauern wir zutiefst all unser Versagen und alle in der Vergangenheit eingegangenen Kompromisse...“ Gleichzeitig rufen sie zum Widerstand gegen alle Arten von nationalen Spaltungen und Vormachtstreben auf, denn es gebe „keinen anderen Weg als den der Versöhnung“. In der gemeinsamen Zukunft sei ein Leben in Freiheit nur auf der Grundlage garantierter Menschenrechte möglich. Wenn es um Verletzung der Rechte ethnischer Minderheiten  ginge, würden die Kirchen in Zukunft nicht mehr schweigen sondern um Solidarität bitten. In: CEC News, Geneva, 8.November 1990.

[36] Neubert, Erhart, Reproduktion von Religion in der DDR-Gesellschaft. Epd-Dokumentation, Frankfurt/M, Nr.35-36/1986.

[37] G. Sprondel, Die Legende vom „religionslosen Zeitalter“, in: Lutherische Monatshefte 1985/12 f.

Ruthven, Malise: Fundamentalism – The Search for Meaning. Oxford 2005. Religionsfreiheit in Ostmitteleuropa nach der Wende. ÖRK in Ungarn, Budapest 1998.

[38] Länderinformationen – Kirchenamt der EKD (Hg.), Kirchliche Partnerbeziehungen in Europa. Hannover 2004.  M.Tomka-PM. Zulehner (Hg.), a.a.O. 27.183. 206.

[39] Stellungnahme der ungarischen protestantischen Kirchen, 1973. In: Theológiai Szemle, Budapest 1973. 90 f.

 

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