Anlässlich der Gedenkfeier an die vor 25 Jahren erfolgte Umbettung des 1958 von den Kommunisten hingerichteten Ministerpräsidenten Imre Nagy war Bundespräsident Joachim Gauck gemeinsam mit den Staatspräsidenten Polens, Tschechiens und der Slowakei nach Budapest gekommen. Noch bevor die offiziellen Termine begannen, hatte Gauck Zeit sich mit Vertretern der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Ungarn zu treffen. Gleich zu Beginn des Treffens wurde dem
Bundespräsidenten vom leitenden Bischof Péter Gáncs die druckfrische Ausgabe seiner ins Ungarische übersetzten Biografie „Winter im Sommer – Frühling im Herbst“ überreicht. Mit großem Interesse erkundigte sich Gauck bei den Anwesenden nach den seit einem Jahr als Pflichtfach eingeführten Schulfächern Religion und Ethik, insbesondere über deren Finanzierung und die Ausbildung der Lehrkräfte. Gáncs betonte dabei, dass das Unterrichten und die Vermittlung von kulturellen Werten eine wichtige Tradition in der lutherischen Kirche ist. Obwohl in den letzten 25 Jahren zahlreiche diakonische und schulische Einrichtungen in die kirchliche Trägerschaft übergegangen sind, wird auch in Ungarn mit rückläufigen Kirchenmitgliederzahlen gekämpft.
Gergely Prőhle stellte dem Bundespräsidenten das neueste Buch der Reihe „Netz“ vor, in dem die Informantenakten von Mitgliedern der lutherischen Kirche aus der Zeit von 1945 bis 1990 enthüllt wurden. Die Auffassung der lutherischen Kirche, dass es im heutigen Ungarn unabdingbar ist, Aufklärung zu betreiben, teilte Gauck gänzlich. Jedoch äußerte er auch seine Bedenken bezüglich der nationalistischen Töne, die in Ungarn anklingen. Prőhle erklärte an dieser Stelle, dass dies derzeit eine allgemeine Begebenheit in ganz Europa wäre. Während beispielweise damals in den polnischen Gebieten die deutsche Bevölkerung ganz vertrieben wurde, ist die ungarische Bevölkerung in den von Ungarn abgetrennten Gebieten bis heute ansässig geblieben. Wenn man also von Ungarn, die außerhalb Ungarns leben spricht, dann erhebe man damit keine territorialen Ansprüche, sondern man denke in erster Linie an die Sprache und die Kultur, sowie das Recht die eigene Identität der Ungarn zu leben. Laut Prőhle war es eine neue Information für den Bundespräsidenten, dass die ungarische lutherische Kirche deutsche, slowakische und ungarische Wurzeln hat. „Es ist uns ein wichtiges Anliegen, dass es keinen Nationalismus in unserer Kirche gibt, da unser Alltag von eben dieser ungarischen, deutschen und slowakischen Dreiheit geprägt ist“, betont Prőhle.
Die Vertreter der ELKU wiesen darauf hin, dass die Stimme der Presse in Deutschland die Situation in Ungarn oft stark überhöht darstelle. Auch der Bundespräsident teilte diese Ansicht zum Teil, daher wären ihm eben die persönlichen Gespräche in diesen Tagen in Budapest so wichtig.
Bezüglich der Vorbereitungen zum 500. Reformationsjubiläum konnte Károly Hafenscher, als Sonderbeauftragter der Regierung für die Vorbereitung zum Reformationsjubiläum, über die Zusammenarbeit zwischen Regierung und Kirche berichten. Im Rahmen der Vorbereitungen erschien jüngst eine Ausgabe des Luther Testamentes auch in deutscher Sprache.