Von Wittenberg nach Budapest – Der lange Weg des Luther-Testaments

Von Wittenberg nach Budapest – Der lange Weg des Luther-Testaments

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Quelle: budapester.hu
Was haben der Reformator Philipp Melanchthon, ein ungarischer Raritätensammler aus dem 19. Jahrhundert und die Reichskanzlei des Dritten Reichs gemeinsam? Alle waren im Kontakt mit dem Testament von Martin Luther. Schon an diesem Umstand können wir feststellen, dass das Testament vom „Vater der Reformation” eine spannende Geschichte haben muss. Seit 1804 befindet sich das Dokument in Ungarn und ist heute im Besitz der Evangelisch-Lutherischen Kirche des Landes. In diesem Jahr kehrt „Luthers Letzter Wille” jedoch für eine Zeit nach Wittenberg zurück, in die Stadt, in der er einst verfasst worden war.

Wahrscheinlich hat jeder schon einmal eines der zahlreichen Bildnisse Martin Luthers gesehen. Grundsätzlich spiegelt sich darin ein lebenskräftiger Mann wieder, von dem wir gar nicht annehmen würden, dass er mit schweren Gesundheitsproblemen zu kämpfen hatte. Luthers Klosterjahre in Erfurt wurden jedoch von schweren Erkältungen begleitet, die ernste Nierensteinleiden zur Folge hatten. Infolgedessen sowie der kriegerischen Stimmung der Epoche fühlte Luther zeitlebens mehrmals, dass ihm der Tod nahe war.

Zwei Testamente

1537 erreichte Luthers Gesundheitszustand ein kritisches Stadium, weshalb er sich entschied, seinen Letzten Willen kundzutun. Nach der Verfassung dieses Testaments sollten für Luther jedoch noch neun Jahre im Kreis seiner Familie folgen. 1541 verschlechterte sich sein Zustand erneut, weshalb sich der „Vater der Reformation” ein Jahr später entschloss, ein zweites Testament aufzusetzen. Luther sorgte sich um seine Frau Katharina und seine vier Kinder. Aufgrund des damaligen sächsischen Rechts kam der Witwe kaum etwas von der Erbschaft zu. Daher berief sich Luther auf das römische Recht, dem zufolge man Hab und Gut der Frau zum Geschenk machen konnte. Luther stellte so sicher, dass ein Landgut, ein beim Wittenberger Kloster gelegenes Haus sowie einige Gold- und Silbergegenstände in den Besitz seiner „Käthe” übergingen. Des Weiteren legte er seiner Frau ans Herz, ihre Kinder immer im Auge zu behalten. Das Testament wurde von drei engen Mitarbeitern Luthers bezeugt und unterzeichnet: Philipp Melanchton, Caspar Cruciger und Johannes Bugenhagen.

Nach Luthers Tod

Nach der Erbteilung ist von dieser Testamentsurkunde jedoch anderthalb Jahrhunderte nichts bekannt. Erst 1706 tauchte die Urkunde beim sächsischen Oberkirchenrat und Dresdner Oberhofprediger, Samuel Benedict Carpzov, auf. Die Familie Carpzov war eine alte, lutherisch gesinnte, sächsische Gelehrtenfamilie. Das letzte männliche Familienmitglied, Professor Dr. Johann Benedict Carpzov, verstarb 1803 und hinterließ eine ansehnliche Bücher- und Handschriftensammlung, welche 1804 versteigert wurde. Unter den feilgebotenen Handschriften war auch Luthers handschriftliches Vermächtnis aus dem Jahre 1542.

Dieses erstand ein vermögender ungarischer Raritätensammler namens Miklós Jankovich. Sein neuester Erwerb wurde in Ungarn von vielen seiner Zeitgenossen mit Begeisterung begrüßt. In einem Schreiben aus dem Jahre 1815 und einer späteren Bestätigung aus dem Jahre 1832 verfügte Jankovich, dass er das Luther-Testament der ungarischen evangelisch-lutherischen Kirche für ihr Archiv als Geschenk vermacht. Damals besaß die lutherische Kirche in Ungarn jedoch noch kein Archiv. So blieb das der Kirche übereignete Dokument vorläufig bei seinem Spender. Sein kostspieliges Hobby stürzte Jankovich immer häufiger in Geldschwierigkeiten, weshalb er sich gezwungen sah, nach Interessenten für seine Sammlung zu suchen.

1831 bot das Ungarische Nationalmuseum an, einen Teil dieser Sammlung zu kaufen. So wanderte das Luther-Testament für eine Zeit ins Nationalmuseum. Es dauerte Jahre, bis die Urkunde 1845 letztendlich in den Besitz der evangelisch-lutherischen Kirche Ungarns gelangte. 1846 entschied man, dass ein Faksimile des Originals angefertigt und vervielfältigt zur Schau gestellt werden sollte. Ein Exemplar sandte man sofort nach Eisleben, Luthers Geburtsort. Das wertvolle Original deponierte man in dieser Zeit in einer Stahlkassette und diese wiederum in einen Geldschrank im Archiv der Kirche.

Ist die Urkunde wirklich echt?

Über Jahrzehnte wurde es ruhig um das Luther-Testament. Erst 1878 kam die Frage auf, ob die Urkunde denn wirklich echt sei. Zur Klärung dieser Frage wurde ein Komitee eingesetzt, dessen Mitglieder vor allem hoch angesehene Historiker und Akademiker waren, doch auch der Pfarrer der Pester deutschen Gemeinde, Alexander Doleschall, gehörte dazu. Während der Nachforschungen wurde die Testamentsurkunde mit mehreren Handschriften Luthers verglichen, des Weiteren wurde auch das Papier untersucht, auf dem man ein Wasserzeichen aus der Zeit Luthers fand. Aufgrund dieser Untersuchungen stellte das Komitee fest, dass es sich bei der Testamentsurkunde tatsächlich um Luthers eigenhändig verfassten Letzten Willen handelt.

Dieser Bericht erregte sowohl im In- als auch im Ausland großes Aufsehen. Besonders intensiv befasste sich das Wiener Fremdenblatt damit. Ein gewisser Karl Reuß behauptete in einem Artikel, dass das Komitee der evangelischen Kirche in Ungarn „weniger aus Fachmännern als vielmehr aus gefeierten Parlamentsrednern” bestanden habe. Reuß meinte, dass aufgrund von Leopold von Rankes „Geschichte der Reformation” (1839) bereits nachgewiesen worden sei, dass sich das Original des Testaments in der Heidelberger Bibliothek befindet. Damit konnten die ungarischen Sachverständigen in Verlegenheit gebracht werden.

Daraufhin forderte Pfarrer Doleschall Reuß auf, seine Behauptungen mit genauen Beweisen zu belegen. Doleschall fragte auch beim Oberbibliothekar der Heidelberger Bibliothek nach. Der Bibliothekar antwortete, dass sich das Luther-Testament nicht im Besitz der Bibliothek befinde. Zur gleichen Zeit wandte sich Doleschall auch an den europaweit angesehenen Historiker Leopold von Ranke, damit dieser Auskunft über die Urkunde gebe. Ranke antwortete, dass er sich „nicht darauf besinnen kann, sich jemals zum Luther-Testament geäußert zu haben”. So konnte Doleschall die Ehre des Komitees retten. Über den Journalisten Reuß konnte Doleschall jedoch nichts erfahren. Der Verdacht liegt nahe, dass es sich bei Karl Reuß um einen Decknamen handelt und die ganze Angelegenheit nur ein falsches Spiel war, um die Glaubwürdigkeit der ungarischen Fachexperten anzugreifen.

Lutherhalle in Wittenberg zeigt Interesse

„Streng vertraulich!” – mit diesem Vermerk begann am 26. August 1936 der Hofrat Dr. Hermann von Trenkwald in seiner Maria-Enzersdorfer Wohnung bei Wien einen Brief. Von Trenkwald war über Jahrzehnte Museumsdirektor in Wien und richtete schließlich eine Kunstberatungsstelle ein. Seinen eben erwähnten Brief schrieb er an Professor Dr. Oskar Thulin, den damaligen Direktor der Lutherhalle in Wittenberg. Von Trenkwald erklärte darin, dass sich das Luther-Testament nach seinen Kenntnissen in Budapest befinde und „dass maßgebende Kreise wissen wollen, dass es derzeit feilgeboten werde, und dass man es der Lutherhalle beschaffen könne”. Um dies tun zu können, benötigte er jedoch eine Ermächtigung vom Direktor der Lutherhalle. Der Hofrat setzte seinen Brief folgendermaßen fort: „Wenn nötig, habe ich auch in Berlin sehr hohe Verbindungen. Devisenschwierigkeiten sind in einem solchen Fall auch zu überwinden.”

Noch am selben Tag, an dem Thulin von Trenkwalds Schreiben erhielt, schrieb er an Dezső Kuthy, dem Generalsekretär der ungarischen evangelisch-lutherischen Kirche, dass die Lutherhalle in Wittenberg das Luther-Testament gerne erwerben würde. „Freilich sind unsere Geldmittel, wie Sie wissen, sehr beschränkt”, setzte Thulin noch hinzu. Auch an von Trenkwald schrieb er, dass er es begrüßen würde, „wenn eine Übermittlung an die Lutherhalle möglich würde.” In einem anderen Brief an Thulin schrieb von Trenkwald, dass sich die ungarische Gemeinde wohl kaum von der Urkunde trennen würde, „es sei denn, man vermöge sie durch ein besonders hohes Preisangebot umzustimmen.” Thulin antwortete in seinem Brief, dass er nur zwischen 5.000 und 10.000 Reichsmark beschaffen könne, was die Erwartungen der Gemeinde wahrscheinlich nicht erfülle.

Nach dem Anschluss sah von Trenkwald die Stunde für sein Vorhaben gekommen. Der kühnste seiner Pläne war, dass der „Führer” höchstpersönlich das Luther-Testament kaufen und danach der Lutherhalle in Wittenberg schenken solle. Bei einem Gespräch von Trenkwalds mit einem Beauftragten der Reichskanzlei in Wien, gelang es ihm tatsächlich, diesen von seinem Plan zu überzeugen. Von da an verfolgte man das Ziel, Budapest ein unwiderstehliches Preisangebot für das berühmte Dokument zu unterbreiten. Thulin war jedoch weiterhin nicht von der Idee von Trenkwalds überzeugt. Nach dem Ausbruch des Weltkriegs folgte eine anderthalbjährige Pause im Briefwechsel der beiden.

Bruch zwischen von Trenkwald und Thulin

1940 gelang es von Trenkwald dann, Thulin zu einer Zusammenkunft mit Botschafter Roth zu überreden, welcher im Führerhauptquartier für sie vorsprechen sollte. Am 29. Oktober 1940 schrieb von Trenkwald an Thulin, dass er „ein Elaborat zwecks Gewinnung der finanziellen Unterstützung Hitlers” anfertigte. Die Summe setzte von Trenkwald auf 100.000 Reichsmark fest.

Am 4. November 1940 hatte Thulin diese Abhandlung fertig und brachte sie in von Trenkwalds Begleitung ins Führerhauptquartier. Der große Plan schien aufzugehen. Jedoch bat der Kulturattaché der deutschen Gesandtschaft in Budapest, die Verhandlungen bis zum Februar 1941 aufzuschieben. Von Trenkwald musste also unverrichteter Dinge nach Wien zurückkehren.

Währenddessen spitzte sich das Verhältnis zwischen Thulin und von Trenkwald mehr und mehr zu. In einem Brief wirft von Trenkwald Thulin vor, auf eigene Faust und hinter seinem Rücken Verhandlungen zu führen. Dieser Verdacht von Trenkwalds war nicht unbegründet, denn am 7. März schrieb Thulin an Botschafter Roth, dass er zu den Verhandlungen mit der lutherischen Kirche in Ungarn den Wiener Hofrat von Trenkwald nicht heranziehen wolle. Am 27. Mai teilte Thulin „einerseits Reichskirchenminister Hanns Kerrl, andererseits Botschafter Roth mit, dass im Sinne einer mündlichen Erklärung des Generalsekretärs Dezső Kuthy an von Trenkwald zur Überlassung des Luther-Testaments keine Möglichkeit bestünde.”

Am 26. Juni 1941 wurde die sich bereits über fünf Jahre hinziehende Angelegenheit schließlich beendet. Das Präsidium der Ungarischen Evangelischen Kirche teilte Thulin mit, dass sie zum Schluss gekommen sei, dass „die Jankovich’sche Schenkungsurkunde eine Überlassung des Testaments in der gewünschten Form nicht ermögliche. In ruhigeren Zeiten könne man ja auf die Frage zurückkommen.” Die evangelisch-lutherische Kirche in Ungarn hatte damit eine geschickte Ausrede gefunden, um das Luther-Testament vor der „drängenden Nachfrage” zu schützen. (Anm.: Die obere Darlegung basiert auf dem Buch „Martin Luthers Letzter Wille. Das Testament des Reformators und seine Geschichte” vom Kirchenhistoriker Tibor Fabiny)

Testament auf Reisen

Wir sehen, welchen unschätzbaren Wert diese bereits 475 Jahre alte Urkunde schon immer für die Lutheraner in Ungarn hatte. Doch zeigt sich die evangelische Kirche in Ungarn auch durchaus großzügig im Umgang mit dem Luther-Testament: Immerhin wurde das wertvolle Dokument bereits anlässlich des Lutherjubiläums 1983 vorübergehend in Deutschland ausgestellt. In diesem Jahr wird das Testament nun erneut seine Heimat besuchen, bestätigt Bischof Tamás Fabinyi, Vorsitzender des Reformationsgedenkausschusses der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Ungarn, gegenüber der Budapester Zeitung.

Der Bischof erklärt, dass während der Vorbereitungen für das Reformationsjahr in Deutschland das Kultusministerium Sachsen-Anhalts Budapest mit der Bitte aufsuchte, das Luther-Testament 2017 ausstellen zu dürfen. Das Landesmuseum der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Ungarn willigte ein. So wird das Original von Luthers Letztem Willen Ende Juli in Wittenberg ausgestellt, wo es bis Ende November zu sehen sein wird.

Doch kann man das Original hierzulande überhaupt zu Gesicht bekommen? Auf diese Frage erklärt uns Tamás Fabinyi, dass das Testament nur sehr selten gezeigt wird. In der Dauerausstellung des Landesmuseums der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Budapest ist jedoch ein Faksimile zu sehen, welches mit einer digitalen Anwendung auch vergrößert werden kann. Das Original wird aber nicht für ewig den neugierigen Blicken verschlossen bleiben. „Es gibt bereits Pläne bezüglich der Errichtung eines Besucherzentrums, wo unter entsprechenden Sicherheits- und Schutzmaßnahmen das originale Luther-Testament ausgestellt werden könnte”, so der Bischof.

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