Kirche muss Kirche bleiben – Im Gespräch mit Dr. Károly Hafenscher

Kirche muss Kirche bleiben – Im Gespräch mit Dr. Károly Hafenscher

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Quelle: Christophoros, text: Holger Manke
Wohin gehst du, Kirche? Die Entwicklung der Kirche gibt Grund zu Hoffen und Bangen. Erneuerung tut innerkirchlich wie auch gesamtgesellschaftlich Not. Dr. Károly Hafenscher beschäftigt sich mit all diesen Fragen, trägt er doch als Synodalpräsident und als Sonderbeauftragter des Ministers sowohl kirchlicher- als auch staatlicherseits Verantwortung für das Reformationsjubiläum. Wo steht die Kirche? Und wohin sollte sie sich entwickeln?

Du bist Synodalpräsident und zugleich Sonderbeauftragter des Ministers. Wann saßt du zuletzt zwischen Staat und Kirche zwischen den Stühlen?

Täglich. Das sind zwei verschiedene Welten. Zwei unterschiedliche Denkweisen nebeneinander sind nicht einfach. Aber dennoch können sich diese beiden Denkweisen gegenseitig bereichern. Ich bin eine Art Mediator. Im Ministerium versuche ich zu erklären, worum es beim Reformationsjubiläum eigentlich geht. Und in der Kirche versuche ich zu erklären, warum die Regierung auch etwas mit dem Jubiläum zu tun hat. Die Frage für alle ist: Was hat die fünfhundertjährige Reformationsbewegung mit der gesamten Gesellschaft zu tun? Die Reformation zeigt uns nämlich ein Modell, wie sich die Gesellschaft und in ihr die Menschen je individuell erneuern können.

Wie könnte die Erneuerung innerkirchlich aussehen? Großveranstaltungen zum Beispiel haben ja den Ruf vor allem den Gemeindekern anzusprechen. Wie erreichen kirchliche Erneuerungsversuche aber die Distanzierteren?

Wir müssen ganzheitlich denken. Es geht nicht um die Frage: Wie können wir in der Gesellschaft oder im Gemeindekern etwas machen? Das Jubiläum hat die Chance auf eine Krisensituation zu reagieren. Die Reformation besann sich auf die alten Werte und zeigte ihre Aktualität auf. Jetzt, nach fünfhundert Jahren, sehen wir, dass diese Werte immer noch wertvoll sind. Es geht also um die Frage: Wie können wir diese Werte auch individuell weiterleben? Diese Werte haben mit Wirtschaft, Kultur, Familie und Gemeinschaft zu tun – und das ist auch über das konkrete gemeindliche Leben hinaus interessant. Es ist auch daran gelegen, dass wir aus der Gemeinde heraus den säkularisierten Menschen diese Werte nahebringen.

Wenn die Kirche Werte vermitteln soll, muss ich auch nach den Charaktermerkmalen der Kirche fragen, die sie braucht, um Werte überhaupt vermitteln zu können.

Kirche soll Kirche sein. Es gibt eine Menge Ersatzhandlungen in der Kirche. Es gibt eine Art Identitätsstörung – wir sollen nicht mehr oder weniger sein und wollen. Wir sollen einfach nur Kirche sein, glaubwürdig leben, ernst meinen, was wir sagen. Wir sollen fähig sein, uns und die Kirche täglich zu erneuern. Das gibt eine Art innerer Energie, diese Werte weiterzugeben. Aber zuerst sollten wir Ordnung in der Kirche machen, Identitätsfragen klären und einfach Kirche sein.

Wenn wir fragen, wohin sich Kirche verändern soll, ist es sicher gut, auf die Wurzel der von dir genannten Identitätskrise zu blicken, um künftig manche Fallen zu umgehen. Wo also hat die Identitätskrise der Kirche angefangen?

Wenn wir den Begriff Reformation bedenken, dann heißt das eine Rückkehr zum Anfang der Kirche. Alles, was Jesus uns zum Beispiel in der Bergpredigt lehrt, sind eindeutige Werte – ein Leben, das nicht für sich selbst da ist, sondern für andere, und Liebe im tiefen Sinne. Davon haben wir im Laufe der Geschichte viel verloren. Wenn wir uns in der Gestaltung unseres Lebens an Nichtchristen orientieren, dann läuft etwas schief. Denn wir haben ein Mandat von Christus. Die Bibel zeigt klar, dass wir das Leben als Geschenk bekommen haben und wir sollen Salz der Erde sein. Wenn wir diesen Weg einschlagen – und unser Weg ist Christus – dann können wir anders in der Welt wirken. Dieser Auftrag macht unser Leben sinnvoll – wir können Christus in der Welt nachfolgen und vertreten. Diesen Weg haben wir im Laufe der Geschichte Schritt für Schritt verlassen. Statt der Radikalität Christi haben wir heute ein lauwarmes Christentum. Statt gelebter christlicher Liebe gibt es heute ein berechnendes Miteinander. Statt christlicher Sündenvergebung gibt es heute eine Scheintoleranz. Und so weiter. Das findet man in der Wirtschaft, im Nebeneinander der Völker, bei allen möglichen Problemlösungsversuchen und überall sonst. Deshalb denke ich, wir müssen nicht mehr sein als einfach nur Kirche. Wenn wir wirklich Kirche sind – nicht nur eine gutwillige religiöse Gemeinschaft – mit entschlossener Liebe und klaren Regeln für die Menschen, dann können wir nicht nur für uns, sondern auch für andere den Weg finden. Das Reformationsjubiläum ist eine gottgegebene Chance, aber auch eine Prüfung für die Kirche, ob wir eigentlich noch bereit sind, evangeliumsgemäß zu leben und ein Zeichen in der Welt zu sein. Wenn es nicht gelingt, in den großen und kleinen Veranstaltungen zum Reformationsjubiläum genau das zu vermitteln, dann lohnt es sich nicht, 2017 zu feiern.

Ein Problem liegt doch aber im Praktischen. Manche Gemeinde könnte entgegnen: Schön und gut, aber uns bewegen ganz viele weltliche Probleme – Mitarbeiter, Immobilien, Einrichtungen. Das sorgt für Spannungen. Und wenn wir vom Pfarrer aus denken: Der Gemeindepfarrer ist oft irgendwie auch Bauherr, Manager, Unterhalter und Wirtschaftssachverständiger und nicht einfach „nur“ für das geistliche Leben verantwortlich.

Wenn wir den Weg weitergehen, auf dem wir bis hierher unterwegs waren, dann geht die Kirche kaputt. Das ist für mich eindeutig klar. Jetzt aber haben wir noch die Chance einen anderen Weg einzuschlagen. Vielleicht gibt das Reformationsjubiläum ja Anlass zur Richtungsänderung. Wir müssten die Gemeinde als christliche Gemeinschaft neu gestalten. Das tut weh, das weiß ich. Aber wenn wir diese Schritte nicht jetzt gehen, dann folgt ein langer Prozess, den ich als Weg zum Tod sehe. Die Zeiten der Volkskirche sind vorbei. Das bedeutet Veränderungen, die behutsam und Schritt für Schritt vollzogen werden müssen, aber die Entscheidung dafür muss jetzt fallen.

Wer oder was weckt die Kirche jetzt aus dem Dornröschenschlaf? Wenn die Not groß genug ist, ist es ja zu spät.

Dafür ist meiner Meinung nach das Jubiläumsjahr da. Wenn die Verantwortlichen in der Gemeinde nicht nur eine Institution sind, sondern wirklich eine christliche Gemeinschaft, dann können sie von innen ausstrahlen, dass es so nicht weitergeht. Wir sollen das Christentum wirklich leben – aber das liegt an uns. Deshalb ist es auch wichtig, dass der Pfarrer kein Einzelgänger bleibt, sondern in einer wirklichen – im christlichen Sinne – familiären Gruppe in der Gemeinde Schritte auf dieses Ziel hin tun möge. Christentum ist dann überzeugend, wenn es ausstrahlt.

2017 stellt also die Weichen für die Zukunft?

Ich werde – sowohl in der Kirche, als auch gegenüber der Regierung – nicht müde zu betonen, dass das Reformationsjubiläum keine Nostalgieveranstaltung ist. Wir müssen zukunftsorientiert denken und handeln. Es ist wichtig, was uns die Vergangenheit schenkt. Aber wichtiger ist, was vor uns liegt. Die Christenheit lebt aus der Zukunft, nicht aus der Vergangenheit. Das heißt: Das Reformationsjubiläum ist für die Zukunft da.

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